Bestandskundenpflege und Vertriebsstrategie: So stärken Sie Ihr Bestandskundenmanagement

„Stammkunden gibt’s nicht mehr“, sagte mir vor Kurzem der Inhaber eines Traditionsgeschäftes in der Landshuter Innenstadt. Und wieder schließt ein Fachgeschäft. So kann es jedem Unternehmen gehen, wenn sich Märkte verändern, die eigenen Produkte nicht mehr wettbewerbsfähig sind, Kunden als Abnehmer ausfallen oder Konkurrenten unentwegt den eigenen Kundenbestand anknabbern. Man sollte seine Stammkunden deshalb hegen und pflegen wie Schätze. Denn sie sind die Schätze eines Unternehmens, weil sie den Fortbestand des Geschäftes garantieren.

Bestandskundenpflege kostengünstiger als Neukundengewinnung: richtig oder falsch?

Nicht ohne Grund postulieren Marketing-Gurus immer wieder, dass es fünf- bis achtmal so teuer sei, Neukunden zu gewinnen, als Stammkunden zu halten. Allerdings ist Vorsicht bei diesem Satz angebracht. Die Schlussfolgerung lautet nämlich nicht, alle Aktivitäten auf die Bestandskundenpflege auszurichten. Denn ein „natürlicher Schwund“ im Kundenstamm ist nicht zu vermeiden. Deshalb ist es so entscheidend, dass der Verkaufstrichter ständig „nachgefüllt“ wird. Primäres Ziel einer Vertriebsstrategie sollte es allerdings sein, Stammkunden zufrieden zu stellen und die Qualität des Kundenstamms stetig zu verbessern.

Was sind eigentlich Stammkunden?

Stammkunden sind im Sinne der ERP oder der kaufmännischen Buchführung Kunden, die mit einer Kundennummer im kaufmännischen System verankert sind. Das bedeutet, dass strategisch zu entscheiden ist, wann ein nicht mehr kaufender Bestandskunde aus rechtlichen Gründen zwar nicht gelöscht, aber doch aus dem aktiven Kundenstamm entfernt wird. Das wird im Falle einer Geschäftsaufgabe oder Konkurs des Kunden kein Thema sein. Damit verbunden sind folgende Fragen: Nach wieviel Monaten oder Jahren ohne Umsatz laufen besondere Vertriebsmaßnahmen an? Nach wieviel Jahren erfolgloser Bemühungen bzw. bei welchen Indikatoren einer Chancenlosigkeit wird der Kunde nicht mehr als Stammkunde gezählt? Schließlich macht es keinen Sinn, im Kundenbestand einen Wildwuchs von Karteileichen zu fördern.

Deshalb empfehlen wir, bei der Vertriebssteuerung vom CRM einen Warnparameter für die Stammkunden setzen zu lassen, die seit x Monaten nicht mehr bestellt haben und diese kritische Kundensegment in eine Überwachung zu nehmen.

Bestandskundensegmentierung als Grundlage für die Vertriebsstrategie

Diese Überlegung führt zu folgender Frage: Alle Stammkunden bilden symbolisch einen Karteikasten mit Kundenkarten. Ist es sinnvoll, dass alle Karteikarten die gleiche Farbe haben? Oder macht es nicht vielmehr Sinn, bestimmte Kundengruppen nach Farben zu unterscheiden, um auf einen Blick zu sehen, wie sich die Farbanteile im Karteikasten verteilen? Ohne Lesen einer Karteikarte wissen Sie dann, was für einen Kunden-Grundtyp Sie vor sich haben. Die Frage ist, welche Kunden sozusagen farblich zu unterscheiden sind – Stichwort strategische Kundensegmentierung. Natürlich kann ein Anwender jederzeit im CRM Stammkunden nach Branche, Zahlungsverhalten oder Kundengröße filtern. Wir empfehlen allerdings darüber hinaus, eine Vorsortierung (Vorqualifizierung) nach strategischen Kundentypen vorzunehmen – eben die Farben für die Kundenkarten.

Die Grundsegmentierung des Kundenstamms sollte dabei nach strategischen Kundentypen bzw. nach Geschäftsmodellen oder nach Kernprozessen erfolgen. Schließlich muss ein Industrieunternehmen grundsätzlich anders betreut werden als ein Handelspartner, der für einen Hersteller weiterverkauft. So nimmt ein Anbieter von Feuerschutzgeräten folgende Grundsegmentierung im Kundenstamm vor – im CRM umgesetzt durch einen zentralen Kundenparameter, so dass auf Knopfdruck direkt auf dieses Kundensegment zugegriffen werden kann:

  • Feuerwehren u.a. Brandschutz-Institutionen
  • Systemkunden: gewerbliche Kunden, die sich den gesamten Brandschutz andienen lassen.
  • Gewerbekunden: gewerbliche Kunden, die Produkte und / oder Dienstleistungen beziehen.
  • Vertriebspartner: gewerbliche Kunden (Handels- und Dienstleistungspartner), die die Produkte an Endkunden weiterverkaufen.
  • VP-Privatkunden: nicht direkt kaufende private Endkunden, die über Vertriebspartner beziehen. Sofern diese bekannt sind (aus Marketingaktionen, Tag der offenen Tür, Garantiefälle etc.) sind diese mit den Vertriebspartner verlinkt.
  • Privatkunden: private Endkunden, die direkt kaufen.
  • Indirekte Kunden: Meinungsführer, Feuerwehren, Bürgermeister etc., die als Meinungsführer und Empfehler aktiv sind und vorrangig vom Marketing betreut werden.

Für die Vertriebssteuerung bringt es große Vorteile, wenn von Anfang an Transparenz im Kundenstamm geschaffen wird. Vertriebsstrategie und Marketing können die Werthaltigkeit und Entwicklung dieser strategischen Kundensegmente differenziert beobachten und beeinflussen.

Das Geheimnis der Bestandskundenpriorisierung

Unterschiedliche Kundenpotenziale, das Selbstverständnis von Kunden und vor allem die stets begrenzten Vertriebsressourcen führen zu der bitteren Praxiserkenntnis: Nicht alle Kunden sind Könige. Aber der Verkäufer muss die Spielregeln bestimmen können, welche Kunden sinnvollerweise zu Königen gekrönt werden. Wir sind wieder beim Thema Kundenbewertung zum Zweck einer Kundenpriorisierung. In Anlehnung an die Qualifizierung von Leads könnten Bestandskunden beispielsweise nach folgenden Parametern bewertet werden:

  1. Umsatz-Klasse: Zuordnung des Stammkunden zu einer Umsatzklasse; z.B. differenziert nach 5 Gruppen: 5 = Top-Umsatz, 1 = Kleinumsatz
  2. Profit-Klasse: Zuordnung des Stammkunden zu einer DB-Klasse; z.B. differenziert nach 5 Gruppen: 5 = Top-Profitbringer, 1 = Verlustbringer
  3. Potenzial-Klasse: Klassifizierung des noch freien (erreichbaren) Potenzials auf einer Skala von 5 = sehr hoch bis 1 = sehr niedrig
  4. Klassifizierung von Kundenzufriedenheit, Kundenbindung oder der Bereitschaft des Stammkunden, mit dem Lieferanten partnerschaftlich zusammenzuarbeiten. Beispiel: sehr gut = 5 Punkte: Der Kunde bemüht sich von selbst um Verkäuferbesuche, ist hoch beratungsaffin, kommt gerne zu Lieferantenveranstaltungen.
    Mangelhaft = 1 Punkt: Wir wissen, dass der Kunde an einen Konkurrenten gebunden ist und uns bei Angeboten nur benutzt, um ein Alternativangebot zu erhalten.
  5. Produktkompetenz des Stammkunden: Sehr gut = 5 Punkte: Der Kunde kennt unsere Produkte bzw. die dahinterstehende Technologie aus dem Effeff. Mangelhaft = 1 Punkt: Der Kunde versteht überhaupt nichts von unserem Produkt, so dass wir auch in der Beratung Produktvorteile nur schwer vermitteln können.
  6. Strategische Bedeutung des Stammkunden: Ebenso nach einer Scoring-Klassifizierung zu bewerten.

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Unterschätzen Sie die Wichtigkeit der Bewertung nicht

Diese sechs beispielhaften Qualifizierungsparameter zeigen, wie wichtig es ist, sich mit den strategischen Konsequenzen der Kundenbewertung auseinanderzusetzen. Beispiel hier: die Potenzialbewertung. Der Parameter Potenzial-Klasse wird in der vorliegenden Formulierung dazu führen, dass Kunden, bei denen die Lieferpotenziale ausgeschöpft sind (geringes freies Potenzial) wegen des Punkteabzugs an Wichtigkeit verlieren. Kunden mit geringerer Umsatzklasse, aber mit noch hohem freien Potenzial gewinnen an Priorität und könnten in ihrer Bedeutung an diesen typischen „Starkunden“ vorbeiziehen. Anders ausgedrückt: Eine auf Bestandskundensicherung bedachte Strategie (Farming-Strategie) bewertet Gesamtpotenziale; eine auf Eroberung fokussierte Strategie (Hunting-Strategie) bewertet freie Potenziale. In jedem Fall aber ist eine Prioritätsbewertung noch nicht ausgeschöpfter erreichbarer Lieferanteile dann sinnvoll, wenn eine gezielte Lieferanteils-Steigerungsstrategie (First- oder Second-Supplier) verfolgt wird.

Strategie: Wachstum durch Lieferanteilsoptimierung

Wie kann nun ein Umsatzwachstum mit Bestandskunden erreicht werden? Viele Unternehmen gehen von lapidaren Umsatzsteigerungen im Kundenstamm aus, ohne sich ein Bild über die möglichen Chancenfelder zu machen. Je nach Zielsetzung für eine Lieferanteilsoptimierung sind nämlich unterschiedliche Strategien erforderlich:

Strategie 1: Man wächst mit dem Kunden, profitiert also von seiner positiven wirtschaftlichen Entwicklung. Das ist der Idealfall. Kundenzufriedenheit und Kundenbindung sind die Voraussetzungen. Für diesen Fall ist es sinnvoll, die wirtschaftliche Lage und Entwicklung von Kunden zu dokumentieren und professionell im CRM zu parametrisieren.

Strategie 2: Aus Vertriebssicht ähnlich positiv zu werten ist ein Wachstum durch einen gemeinsamen Aufbau von neuen Potenzialen (Zusatzumsatz) auf der Grundlage von WIN-WIN-Beziehungen. Man investiert gemeinsam. Wie im ersten Fall kann der Lieferant wachsen ohne Konkurrenten verdrängen zu müssen.

Strategie 3: Die dritte Strategie ist der klassische Verdrängungswettbewerb. Man wächst, indem man seinen Lieferanteil zu Lasten von Konkurrenten erhöht. Dabei ist zu beachten, dass dies nicht zu Lasten des Preises und damit des Deckungsbeitrages geschieht. Stellen Sie sich vor, ein Kunde bietet zusätzliche Bestellungen unter der Bedingung an, dass der Preis für die Gesamtmenge reduziert wird. Dann kann es sein, dass der „Kauf“ von Lieferanteilen zum wirtschaftlichen Bumerang wird. So wird der Vertriebler zum Kaufmann. Diesem Dilemma kann durch neue, wettbewerbsüberlegene Produkte und Dienstleistungen ausgewichen werden.

Eine sinnvolle Vertriebsstrategie kann also nur verfolgt werden, wenn im CRM die bekannten oder geschätzten Lieferanteile bei den Stammkunden dokumentiert werden. Über die Lieferanteile lassen sich dann Marktanteile in den relevanten Märkten hochschätzen. Wir halten die Beobachtung und Steuerung von Lieferanteilen bei definierten Stammkunden für eine Grundaufgabe des Vertriebs.

Strategie: Wachstum durch Up-Selling und Cross-Selling

Als Sonderformen für ein Umsatzwachstum im Kundenstamm möchte ich hier Up-Selling und Cross-Selling herausstellen:

Für das Up-Selling gilt die Devise: Kein Kunde ist so schlecht, als dass er nicht noch mehr bestellen könnte. Ein Mercedes-C-Klasse-Fahrer könnte in die E-Klasse geführt werden. Eine Familie, die vorhat, sich eine neue Küche im preislichen Mittelsegment anzuschaffen, würde sich vielleicht auch eine höherwertige Küche gönnen, wenn die Verkaufsgespräche geschickt aufgezogen werden.

Beim Cross-Selling geht es darum, zusätzliche Leistungen anzubieten, die mit den aktuellen in einem sinnvollen Zusammenhang stehen, aber nicht eigentlich zum eigenen Angebotsprogramm gehören. Ein Fahrradhändler bietet Radreisen an oder vermittelt diese. Ein Fensterbauer erkennt, dass bei einem Kunden die Haustür renovierungsbedürftig ist und sorgt für ein entsprechendes Angebot für eine neue Haustür. Allianzen unter Anbietern spielen hier eine große Rolle. Autohändler haben etwa KFZ-Versicherungen, Kreditangebote oder Merchandising-Artikel im Angebot.

Die Frage ist, wie Up- und Cross-Selling-Chancen in der Vertriebssteuerung berücksichtigt werden können. Folgende Methoden sind gängig:

Buffetmethode: Bei einem überschaubaren Sortiment von möglichen Zusatzleistungen wird auf Häkchen-Feldern dokumentiert, in welchen Produktbereichen der Vertrieb nachstoßen soll, welche Cross-Selling-Produkte für den Kunden also von Interesse sein könnten.

Kennziffernmethode: Im CRM wird der Sortimentsabdeckungsgrad des Kunden ausgewiesen. Bei Kunden, die Cross-Selling-Angebote unterhalb einer bestimmten Schwelle nutzen, setzt das System Warnmeldungen für Innen- und Außendienst.

Klassifikationsmethode: Dieses Verfahren entwickelt die Kennziffernmethode für Marketingaktionen weiter. Die Kunden werden in Bezug auf die bereits ausgeschöpften Cross-Selling-Möglichkeiten nach Kategorien segmentiert. Man arbeitet also nicht mit Zahlen (Kennziffern), sondern direkt mit Priorisierungen. Beispiel: Ein Kunde mit über 90 Prozent Sortimentsausschöpfung wird als CS-Top-Kunde geführt und entsprechend betreut. Der Vertrieb kann wohl davon ausgehen, dass auch neue Zusatzprodukte bei diesem Kunden auf schnelles Interesse stoßen. Andererseits wird es Kunden geben, die vollkommen resistent gegen Zusatzangebote sind. Man sollte sie halt nur kennen, seine Kunden!

Alert-Methode: Diese Methode ist sinnvoll, wenn nur sporadisch Cross-Selling-Angebote in Betracht kommen. Beispiel: Im Fall, dass ein Kunde neue Terrassenmöbel kauft, setzt das System sofort einen Hinweis für den Vertrieb, dass auch der Bedarf nach einer neuen Markise oder einem Wintergarten abgefragt wird.

Up-Selling liegt in der Verantwortung von allen Mitarbeitern mit Kundenkontakt.

Aufgabe des Vertriebs ist es, dem Kunden den Mehrwert zu vermitteln, den er mit einem höherwertigen Produkt erhalten würde. In jedem Fall können Up- und Cross-Selling nur funktionieren, wenn man die Qualitäts- und Budgeterwartungen des Kunden kennt. Interessiert sich ein Kunde für eine PV-Anlage und ist mit 15.000 Euro bereits am persönlichen Limit, dann macht es keinen Sinn, ihm noch Speicher für 8.000 Euro anzubieten. Aber die Vision eines Ausbaus seiner Anlage muss ihm vermittelt werden.

Bestandskunden-Management geht alle an

Alle dargestellten Vertriebsstrategien und -methoden stehen im Lichte einer Erkenntnis: Die Qualität und der Wert des Kundenstamms sind beeinflussbar. Wer seine Kunden sehr gut kennt, dem bieten sich in der Regel noch Chancen auf erhebliche Umsatzsteigerungen. Das geht nicht auf Zuruf, nicht mit Formularen, nicht mit Excel und schon gar nicht mit der ERP. Die geeigneten Instrumente betreffend Transparenz, Prozessteuerung und Controlling müssen zur Verfügung stehen. CRM liefert hierzu die Basis.

Bestandskundenpflege bedeutet, den Stammkunden in guten wie auch in schlechten Zeiten zu begleiten. Das kann der Vertrieb nicht allein bewerkstelligen. Betriebliche Silos sind hier fehl am Platz. Vertrieb, Marketing, Entwicklung und Service müssen sich gemeinsam als Lebenspartner für die Stammkunden begreifen. Wer Stammkunden gut pflegt, dem gehört der Markt.

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